Es gibt heute zahllose Ratgeber zur Zitruskultur von unterschiedlicher Qualität. Hört man sich bei den Gärtnerinnen und Gärtnern um, die große Zitrussammlungen betreuen, erfährt man, dass sie neben dem Austausch mit der Kollegenschaft auch großen Wert auf historische Fachliteratur legen. Ein Autor, der immer wieder genannt wird, ist Johann Christoph Volkamer (1644–1720).
Es handelt sich bei ihm nicht um einen Fachmann, sondern um einen so genannten Dilettanten, also um einen Laien, der sich aufgrund seiner Leidenschaft für das Thema ein außergewöhnliches Fachwissen angeeignet hatte. Johann Christoph Volkamer entstammte einer Nürnberger Kaufmannsfamilie und war unter anderem als Seidenhändler tätig. Er hatte neben dem Handelsunternehmen auch einen großen Garten in Nürnberg geerbt, in dem er zahlreiche Zitruspflanzen kultivierte. Dank seiner engen Handelsbeziehungen nach Italien hatte er eine beachtliche Sammlung aufgebaut. Er beschäftigte sich intensiv mit der Kultivierung dieser Gattung und der Sortenbestimmung. Außerdem ließ er seine Zeitgenossen an seinem Wissen und seinen Erfahrungen teilhaben. 1708 veröffentlichte er „Nürnbergische Hesperides“, die erste Zitrusmonographie in deutscher Sprache.
Er war nicht der erste, der über Zitruspflanzen schrieb. Bereits antike Autoren hatten in gartenbaulichen und naturkundlichen Traktaten einzelne Kapitel über Zitruspflanzen verfasst. Und 50 Jahre vor Volkamer hatte der römische Jesuit Giovanni Battista Ferrari in lateinischer Sprache ein umfangreiches Werk über Zitruspflanzen publiziert. Er bettete seine Abhandlung über die Kultivierung, den Nutzen und die Sorten in den Raub der goldenen Äpfel durch Herakles aus dem Garten der Hesperiden ein. Entsprechend wählte er auch den Titel „Hesperiden oder über die Kultur und den Nutzen der Goldenen Äpfel“. Erstmals bildete Ferrari auch alle vorgestellten Zitrussorten in ganzseitigen Kupferstichen ab.
Johann Christoph Volkamer folgte diesem Vorbild, nun jedoch in deutscher Sprache, und er versetzte den mythologischen Rahmen nach Nürnberg. Der erste Teil ist ganz der Kultivierung gewidmet. Volkamer beginnt mit der Beschreibung seines eigenen abschlagbaren Pomeranzenhauses. In diesem werden wie am Gardasee die Bäume ausgepflanzt kultiviert, im Herbst ein Überwinterungsgebäude über diesem Zitrushain errichtet und im Frühjahr wieder abgeschlagen. Es folgen Kapitel über die hohe Kunst des Gießens, Erdsubstrat, richtiges Lüften und Beheizen des Überwinterungsgebäudes, Umkübeln, Vermehrung, Schnitt, Ernte, Krankheiten und Schädlinge, Witterungsprobleme und die wichtige Rolle des Gärtners. Volkamer weist darauf hin, dass „kein tummer Kopf und fauler Tropf zu einem Gärtner“ gemacht werden dürfe, sondern er ein gebildeter Mann sein müsse. Macht man sich die Mühe, sich mit der verschnörkelten barocken Sprache auseinanderzusetzen, lassen sich die meisten Fragen, die sich heute bei der Kultur von Zitruspflanzen stellen, mit dieser Lektüre beantworten.
Der zweite Teil des Werkes ist den Sorten gewidmet. Volkamer beschreibt Blüten und Früchte, gibt spezielle Kultivierungs- und Verwendungshinweise und zitiert ältere Literatur. Jede dieser 70 Sorten ist in einem ganzseitigen Kupferstich abgebildet. Ergänzt sind die Früchte durch Darstellungen Nürnberger Gärten am unteren Rand des Kupferstiches. Neben den Sortenporträts bietet Volkamer somit auch eine Dokumentation der Gärten in und um Nürnberg zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Das Werk war ausgesprochen erfolgreich und Volkamers Sammlung so groß, dass er 1714 den zweiten Band unter dem Titel „Continuation der Nürnbergischen Hesperidum“ herausgab, in dem 75 weitere Sorten nach dem Vorbild des ersten Bandes beschrieben und in Kupferstichen porträtiert sind. In den Darstellungen am unteren Rand der Tafeln sind nun Gartenanlagen des Venetos zu sehen. Volkamers Material war so umfangreich, dass er einen dritten Band plante. Aufgrund seines Todes im Jahr 1720 wurde dieser nicht mehr veröffentlicht, Vorzeichnungen und Andrucke der Sortendarstellungen sind jedoch erhalten.
Die beiden Bände wurden als schwarz-weiß Drucke ausgeliefert. Einige der Besitzer ließen zu einem späteren Zeitpunkt Kolorierungen der Kupferstiche vornehmen. Wie viele Exemplare angefertigt wurden, ist nicht bekannt. Volkamers Werk war weit verbreitet. Wir wissen aus vielen fürstlichen, aber auch großbürgerlichen Gärten, dass sowohl die Besitzer als auch die Gärtner „ihren Volkamer“ hatten.
Die große Vielfalt der Zitrussorten und die Schönheit der Kupferstiche aus Volkamers Zitrus-Monographie sind nun in einer aktuellen Veröffentlichung zu bewundern. 300 Jahre nach dem Tod Johann Christoph Volkamers erschien im November 2020 im Taschen-Verlag ein Reprint der Kupferstichtafeln aus der Zitrus-Monographie. Der große, vier Kilogramm schwere und in edles Leinen gebundene Prachtband zeichnet sich dadurch aus, dass die handkolorierten Tafeln der ersten beiden Bände aus dem Besitz des Stadtarchives Schloss Burgfarnbach sowie sämtliche Vorzeichnungen und Andrucke des von Volkamer geplanten, jedoch nicht erschienen dritten Bandes aus dem Besitz der Universitätsbibliothek Erlangen aufgenommen wurden. Die Vielfalt der Sorten und die Schönheit der Darstellungen verüben bis heute einen großen Reiz. Ein Must-have für jeden Zitrusliebhaber!
J. C. Volkamer. The Book of Citrusfruits, Iris Lauterbach, Taschen Verlag, 384 S.,
€ 128,50, ISBN 978-3-8365-3525-0 taschen.com