Wer im Deutschunterricht gut aufgepasst hat, der weiß, dass diese vielzitierte Zeile aus Goethes „Lied der Mignon“ aus Wilhelm Meisters Lehrjahren stammt.
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht / Kennst du es wohl? / Dahin! Dahin / Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn! […]“
Das „Lied der Mignon“ steht für die Italiensehnsucht des späten 18. Jahrhunderts, als nur wenige Privilegierte die Möglichkeit hatten, über die Alpen nach Süden zu reisen und Zitrusbäume in Hainen ausgepflanzt zu sehen.
Während vieler Jahrhunderte verband man mit Zitrus nicht nur ein köstliches und gesundes Nahrungsmittel, sondern Zitruspflanzen und ihre Früchte waren Symbol für immerwährenden Frühling, für Reichtum und Macht, aber auch für Tugend und Jungfräulichkeit. Man denke nur an den tugendhaften antiken Helden Herakles, der die Goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden gestohlen hatte. Es waren unter anderem dieser vor Muskeln strotzende Halbgott und die Interpretation der Goldenen Äpfel als Bitterorangen, die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien zu Sammlungen von Zitrusbäumen in den Gärten wohlhabender Bürger und Adeliger geführt hatten. Man träumte davon, mit diesen symbolbeladenen, ungewöhnlichen Pflanzen das verloren gegangene Goldene Zeitalter wieder auferstehen zu lassen. In der antiken Literatur ist es als idyllischer Urzustand beschrieben, vergleichbar dem christlichen Paradies.
Bis heute ziehen diese außergewöhnlichen Pflanzen uns Menschen in ihren Bann. Ihre mythologische Bedeutung und ihre Verbindung zur antiken Götterwelt sind jedoch weitestgehend in Vergessenheit geraten. Aber was ist es dann, was uns immer noch derart in den Bann dieser Pflanzengattung zieht? Bei den großen ehemaligen fürstlichen Gärten liegt es auf der Hand. Historische Schlossgärten in staatlicher Verwaltung stehen in der Regel unter Denkmalschutz. Sie haben somit einen öffentlichen Auftrag und die Verantwortlichen sind zur Erhaltung der Anlage mit all ihren Ausstattungsmerkmalen gesetzlich verpflichtet. Und dazu gehören eben auch Orangeriegebäude mit ihren Sammlungen mediterraner Pflanzen.
Aber warum geraten Privatpersonen in den Sog dieser Faszination? Sie kaufen Pflanzen, die eigentlich nicht für unser Klima geeignet sind, für die man unter großem Aufwand geeignete Überwinterungsmöglichkeiten schaffen, die man alljährlich ins Haus und wieder in den Garten schleppen muss und sich dabei die Bandscheiben ruiniert, die man permanent auf Schädlingsbefall oder sonstiges Unwohlsein beobachten muss und deren Pflege fast einer Geheimwissenschaft gleicht. Dabei sind die Früchte mittlerweile in jedem Supermarkt ganzjährig für wenig Geld erhältlich und die Reise in den Süden ist auch kein Privileg mehr.
Es ist wohl eine Mischung aus mehreren Gründen und für jeden liegt der Schwerpunkt ein bisschen anders. Die besonderen Eigenschaften dieser Pflanzen sind bis heute einer der Gründe. Auch wenn es schon als Plattitüde erscheint, aber das immergrüne Laub, die intensiv gefärbten Früchte und die Blüte im Winter faszinieren immer wieder von Neuem. Wenn im späten Winter in Glashaus, Wintergarten oder der verglasten Veranda sich die ersten Blütenknospen zeigen und bald darauf ein betörender Duft durch den Raum zieht, kann sich wohl keiner der Faszination entziehen. Und es ist nicht nur das olfaktorische Erlebnis, sondern bei vielen ruft es vermutlich besondere Erinnerungen hervor: der Spaziergang durch einen sizilianischen Zitrushain, eine laue Nacht auf der Dachterrasse eines Riads in Marrakesch oder die Fahrt durch scheinbar endlose Plantagen blühender Zitrus in Kalifornien. Keines unserer heimischen oder eingeführten Obstgehölze im Freiland weist so wie die Zitruspflanzen an Blättern, Früchten und Blüten Öldrüsen auf, denen dieser unvergleichliche Duft entströmt.
Ist man einmal in ihren Bann gezogen, dann meldet sich meist unverzüglich ein mitunter teures Laster: die Sammelleidenschaft. Nur aufgrund fehlender Artenschranken konnte die große Vielfalt an Hybriden und Sorten innerhalb der Gattung Citrus entstehen. Den Anfang machten die Pflanzen in ihrer Heimat Südostasien vor mehreren Jahrtausenden selbst; durch Spontankreuzungen legten sie die Grundlage für die große Vielfalt. Als Gärtner und Pflanzenliebhaber in der Neuzeit Zitruspflanzen vermehrt kultivierten, entstanden in den europäischen Orangerien immer neue Sorten. Die Sammelleidenschaft, die ab dem 16. Jahrhundert Fürsten und wohlhabende Bürger in Europa ergriff, hält bis heute an. Waren vor 20 Jahren viele Sorten nur bei wenigen Spezialgärtnereien erhältlich, so findet man heute selbst in Gartendiscountern und Baumärkten nicht nur Zitronen und Orangen. Meist fängt es mit dem im Urlaub in Italien erworbenen simplen Zitronenbäumchen an und führt über panaschierte Formen hin zu seltenen Raritäten, die einem der Zitrushändler des Vertrauens direkt bei der Baumschule in Italien besorgt.
Fragt man Zitrussammlerinnen und Sammler, dann nennen sie noch viele weitere Gründe: die Liebe zu Italien, die Ernte selbst kultivierter Früchte, das Dekorationspotential von Terrasse und Balkon und vieles mehr. Ein Ort, an dem die Sehnsucht zumindest einmal im Jahr ohne weite Wege gestillt wird, sind die Wiener Zitrustage im Großen Orangeriegebäude im Schlosspark Schönbrunn. Nach Pandemie bedingter zweijähriger Pause finden seit Mai 2022 die Wiener Zitrustage endlich wieder regelmäßig statt. Die schönsten Exemplare der wertvollen alten Zitrusbäume aus der Sammlung der Österreichischen Bundesgärten werden präsentiert. Für die Erweiterung der eigenen Sammlung wird es das außergewöhnliche Sortiment ausgesuchter Spezialgärtnereien geben. Und damit die Kultivierung der Schätze auf der heimischen Terrasse auch klappt, berichten die Schönbrunner Zitrusgärtner über ihre langjährigen Erfahrungen in einer der größten Zitrussammlungen nördlich der Alpen und stehen auch für Fragen zur Verfügung.