Zitruspflanzen werden in ihrer Heimat China seit etwa 4.500 Jahren kultiviert. Lange war man der Meinung, dass Citrus medica, die Zedratzitrone, als erste Zitrusfrucht während der Persienfeldzüge Alexander des Großen um 310 v. Chr. nach Griechenland gekommen war. Archäologische Grabungen haben in den vergangenen Jahren immer neue Funde von Kernen, Schalen aber auch Pollen aus dem Mittelmeerraum zu Tage gefördert. Die Datierungen dieser Funde zeigen, dass Zitrus bereits wesentlich früher in Europa bekannt waren. Je nach Forschungsprojekt geht man zur Zeit vom Vorhandensein von Zitruspflanzen an verschiedenen Stellen im Mittelmeergebiet bereits um 800 bis 1200 v. Chr. aus.

Die Goldenen Äpfel

Es gibt jedoch eine andere, mindestens genau so spannende Geschichte darüber, wie die Zitruspflanzen nach Europa kamen: Die Sage vom Raub der Goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden durch den antiken Helden Herakles.

Erdmutter Gaia hatte Zeus und Hera als Hochzeitsgeschenk den Baum mit den Goldenen Äpfeln geschenkt, den diese in den Garten der Götter pflanzten. Gepflegt wurde er von den Hesperidentöchtern und bewacht durch die mehrköpfige Schlange Ladon. Dieser Garten lag ganz im Westen, am Rand der damals bekannten Welt.

Herakles, unehelicher Sohn des Göttervaters Zeus und der Sterblichen Alkmene, wurde seit seiner Geburt vom Hass der eifersüchtigen Gattin seines Vaters, Hera, verfolgt. Dies führte unter anderem dazu, dass er in einem Anfall von Wahn seine eigenen Kinder getötet hatte. Der verzweifelte Herakles bat nach dieser Tat das Orakel von Delphi um Rat. Um die Tat zu sühnen, sollte Herakles dem König von Mykene Eurystheus dienen. Dieser befahl ihm, zwölf zunehmend schwerer zu lösende Aufgaben zu erfüllen. Eine dieser Aufgaben war der Raub der Goldenen Äpfel aus dem Garten der Hesperiden. Herakles musste auf dem Weg zu diesem Garten am Rande der Welt weitere Aufgaben lösen. Dort angekommen, galt es zunächst die vielköpfige Schlange Ladon zu überwinden. Je nach Quelle unterscheidet sich der Fortlauf der Sage. In der ersten Version ist Herakles der mutige, aktive Held, der Ladon tötete, in den Garten eindrang und die Goldenen Äpfel stahl.

In der zweiten Version wird Herakles als listig und schlau dargestellt. Kurz vor dem Garten der Hesperiden begegnete er Atlas, der das Himmelsgewölbe trägt. Herakles berichtete ihm von seiner Aufgabe. Atlas, Vater der Hesperiden, bot Herakles an, dass er die Goldenen Äpfel hole, wenn Herakles in der Zwischenzeit das Himmelsgewölbe trage. Herakles willigte ein und als Atlas mit seinem Schatz zurückkam, froh, dass ihm die Last von seinen Schultern genommen war, wollte er nun selbst die Goldenen Äpfel Eurystheus übergeben. Dies galt es zu verhindern. Herakles willigte scheinbar ein, klagte jedoch, dass das Himmelsgewölbe so schwer auf seine Schultern drücke. Er bat Atlas, noch einmal die Last zu übernehmen, damit er sich ein Polster unterlegen könne. Atlas durchschaute diese List jedoch nicht und als das Himmelsgewölbe wieder auf seinen Schultern ruhte, ergriff Herakles anstatt eines Polsters die Goldenen Äpfel und überbrachte sie Eurystheus. Dieser ließ sie jedoch unverzüglich durch die Göttin Athene wieder in den Garten der Hesperiden zurückbringen, da ein Sterblicher nicht die Heiligen Früchte besitzen durfte.

Zunächst waren diese Goldenen Äpfel nur Symbol für einen unermesslichen Wert aus dem Reich der Götter, an dem sich ein Sterblicher vergriffen hatte. Vor etwa 2.000 Jahren wurden dann erstmals Zitrusfrüchte mit diesen Goldenen Äpfeln identifiziert.

Die Goldenen Äpfel in den Gärten europäischer Fürsten

Mitte des 16. Jahrhunderts wurde diese Heldentat des Herakles schließlich mit einer real existierenden Zitrussammlung in Verbindung gebracht. In einem Gedicht für Herzog Cosimo I. de Medici wurde beschrieben, wie Herakles die Goldenen Äpfel gestohlen und sie schließlich in den Garten der Medici nach Florenz gebracht hatte.

Wie bereits in der Antike, so wurde auch in der Renaissance und im Barock diese Geschichte von verschiedenen Autoren immer weiter ausgeschmückt. Einmal brachten die Hesperidentöchter die Früchte nach Mantua, dann nach Rom und schließlich nach Nürnberg. Und immer entstand mit ihrer Hilfe ein paradiesischer Garten, geschmückt von zahlreichen Zitruspflanzen.

Herakles war jedoch nicht nur der mutige antike Halbgott, der unzählige Heldentaten vollbracht hatte, sondern wurde auch zur Identifikationsfigur barocker Herrscher. In vielen europäischen Fürstengärten entstanden große Sammlungen von Zitruspflanzen, Orangeriegebäude wurden für ihre Überwinterung errichtet und es entwickelte sich der hochangesehene Beruf des Orangeriegärtners. Der antike Held Herakles wurde zu einem beliebten Motiv für Gartenskulpturen und die Kopien der antiken Statue des Herakles Farnese, die bis heute in zahlreichen Gärten zu finden sind – in unserem Foto ist es der Herakles Farnese aus dem Barockgarten Großsedlitz in Sachsen – , erinnern an die Sage vom Raub der Goldenen Äpfel.

Und so, wie die Urzitrone vermutlich nie gefunden werden kann, wird auch die Frage nach der ersten Zitrusfrucht in Europa nie endgültig beantwortet werden können. Geblieben ist im Laufe der Jahrtausende langen Kultivierung die Faszination, die von dieser Gattung bis heute ausgeht.